Buddhistische Perspektiven auf Essen und TrinkenEthische, soteriologische und kulturgeschichtliche Aspekte
4 July 2016
Photo:
Ein Wandermönch war unterwegs zu einem Zen-Kloster auf einem Berg. Er wanderte ein Bächlein entlang, als ihm ein Kohlblatt ins Auge fiel, das stromabwärts schwamm. Er dachte sich: „Es ist zwar nur ein einzelnes Blatt, aber ein Ort, der so etwas verschwendet, kann kein guter sein!“ Und er drehte sich um und wollte den Berg wieder hinabsteigen. Da sah er einen Mönch den Weg hinabrennen und dem Kohlblatt hinterherjagen. Ohne weiter zu zögern entschied er sich dafür, sich am Kloster oben auf dem Berg einzuschreiben.
(Vgl. Kenneth Kraft. Eloquent Zen: Daitō and Early Japanese Zen. Honolulu 1992, S. 83.)
Der bewusste Umgang mit Nahrung ist von zentraler Bedeutung für ein in buddhistischem Sinne gut geführtes Leben. Ebenso wie für andere Religionen zielen Essen und Trinken auch hier auf mehr ab als auf bloße Nahrungsaufnahme und den Erhalt des körperlichen Daseins. Speise und Trank werden vielmehr spirituelle, soteriologische und soziale Dimensionen zugesprochen, und innerhalb des religiösen Sinnsystems erfüllen sie wesentliche Funktionen. Um nur einige Beispiele aus der buddhistischen Religionsgeschichte herauszugreifen: In den Frühformen der buddhistischen Glaubensgemeinschaft waren die Mönche und Nonnen hinsichtlich ihrer Ernährung auf Almosen von Laien angewiesen, und diese Gabe von Speisen stellte zugleich auch die engste Anbindung der monastischen Gemeinschaften an die Welt der Laien dar. Als Opfergaben – vor japanischen Buddha-Altaren werden zum Beispiel üblicherweise Früchte und Reiswein dargebracht – sind Lebensmittel ebenso ein Bindeglied zwischen dem transzendenten und dem diesseitigen Bereich. Vielfach symbolisiert der gemeinsame Verzehr von Speise und Trank die Zusammengehörigkeit der saṃgha und sichert den Fortbestand des Buddhismus als sozialer Institution. Wie in den „Regulatorien der Reinheit“ in ostasiatischen Chan/Zen-Klöstern betont wird, bietet in paradigmatischer Art und Weise die Produktion und Zubereitung von Speisen und Getränken Gelegenheit, eine umfassende Achtsamkeit zu schulen und das alltägliche Verhalten zur religiösen Übung zu transformieren. Formen des Verzichts auf Nahrung wiederum – sei er grundsätzlicher Art wie im Falle des Verbots bestimmter Lebensmittel in den Ordensregeln oder temporär, aber total wie während des Rückzugs in die asketische Selbstkasteiung – unterstreichen die Bedeutung von Essen und Trinken für das religiöse und kulturelle Selbstverständnis.
Die Vorlesungsreihe „Buddhistische Perspektiven auf Essen und Trinken. Ethische, soteriologische und kulturgeschichtliche Aspekte“ des Numata Zentrums für Buddhismuskunde an der Universität Hamburg im Sommersemester 2016 diskutiert den buddhistischen Umgang mit Nahrung im Spannungsfeld zwischen sozialen Konventionen und individuellem Heilsstreben, zwischen normativer Dogmatik und ritueller Effizienz.
In seinem Eröffnungsvortrag geht Prof. em. Dr. Lambert Schmithausen (Hamburg) der Frage nach, welche ethischen, asketisch-spirituellen und sozialen Motive im indischen Buddhismus zu Einschränkungen des Fleischverzehrs und schließlich zu einer konsequent vegetaristischen Richtung führten. Prof. Dr. Ann Heirman (Gent) umreißt die Parameter, die zu einer Kodifizierung des Verbots bestimmter Nahrungs- und Genussmittel nicht nur in den Ordensregeln des chinesischen Buddhismus, sondern auch darüber hinaus in der säkularen Strafgesetzgebung führte, und wirft so ein neues Licht auf das Verhältnis von klerikalen und weltlichen Autoritäten. Der hochgradig ästhetisierte und sprichwörtlich gewordene buddhistische Charakter der Teezeremonie wird von Prof. Dr. Kristin Surak (London) in Frage gestellt; ihre Analyse japanischer Tee-Rituale begreift diese zuvorderst als Bausteine in der zielgerichtete Konstruktion einer einzigartigen nationalen Identität. Der Abschlussvortrag von Prof. Dr. Klaus Vollmer (München) verknüpft mit Blick auf das Thema des Fleischverzehrs in der Geschichte und Gegenwart Japans die Fragen nach ethischer Verantwortlichkeit, religiösem Ideal und sozialer Praxis sowie der identitätsstiftenden Funktion von Nahrung.
Die Vorträge finden montags, 18 Uhr – 20 Uhr c. t. im Raum 221 des Asien-Afrika-Instituts der UHH, Edmund Siemers-Allee 1, Flügel Ost, statt.
18.04.2016
Fleischverzehr und Vegetarismus im indischen Buddhismus
Prof. em. Dr. Lambert Schmithausen (Hamburg)
06.06.2016
The Consumption of Forbidden Food in Chinese Buddhism
Prof. Dr. Ann Heirman (Gent)
27.06.2016
Consuming Japaneseness in the Tea Room. Between the Ordinary and Extra-Ordinary
Prof. Kristin Surak, PhD. (London)
04.07.2016
Tötungsverbot und Fleischgenuss in Japan
Prof. Dr. Klaus Vollmer (München)
Vortragssprachen sind Deutsch oder Englisch. Alle Interessierten sind herzlich willkommen! Der Eintritt bei allen Vorträgen ist frei.
Veranstaltungsflyer (PDF)
Koordination: Prof. Dr. Steffen Döll (Numata Zentrum für Buddhismuskunde, Universität Hamburg)