Buddhistische Positionierungen in der Volksrepublik China (1978-2023)
Buddhistische Positionierungen in der Volksrepublik China (1978-2023): Diskursgeschichtliche Untersuchungen zur Einführung und Interpretation des Begriffs eines „Menschlichen Buddhismus“ (renjian fojiao 人间佛教) durch die Buddhistische Vereinigung Chinas (Zhongguo fojiao xiehui 中国佛教协会)
Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 463407334
Für die jüngere buddhistische Geistesgeschichte im chinesischsprachigen Raum gilt die Herausbildung eines zentralen Begriffs seit den 1930er/1940er Jahren als Ausdruck und Wegbereiter eines neuen konzeptuellen Denkens: renjian fojiao (人间佛教). Dieser Begriff, vorläufig als „Menschlicher Buddhismus“ übersetzt, ist bis heute auf das Engste mit seinem Schöpfer, dem reformorientierten Mönch Taixu (1890-1947), verbunden. Dieser setzte sich für eine Rückbesinnung auf ursprüngliche, diesseitig orientierte buddhistische Werte verbunden mit kontinuierlichen Anpassungen an die Moderne ein. Bisher wurde vor allem die weitere Entwicklung auf Taiwan Gegenstand internationaler Forschung.Ziel der Arbeit ist es nun, die Einführung und diskursiven textlichen Interpretationen von renjian fojiao als Kernbegriff für die Rechtfertigungsstrategien der Buddhistischen Vereinigung Chinas (BVCh) seit der Wiedereinführung von Religionsfreiheit in der VR China, im zeitlichen Verlauf der Jahre 1978-2023, nachzuvollziehen. Dabei soll den zentralen Leitfragen nachgegangen werden, wie und mit welcher religiösen und religionspolitischen Bedeutung renjian fojiao 1987 als buddhistisches Konzept seinen Weg in die Satzung der BVCh gefunden hat, wie 1993 dessen Entfernung aus der Satzung zu verstehen war, mit welcher Intention 2002 die Wiederaufnahme in der Satzung erfolgte und in welcher Weise von der BVCh seither dieses Konzept interpretiert wurde. Zur Klärung dieses bislang unerforschten festlandchinesischen Sonderwegs ermittelt die Arbeit diskursive Ereignisse im unmittelbaren Umfeld der BVCh, die auf Veränderungen in der Interpretation von renjian fojiao eingewirkt haben. Schwerpunkte liegen auf Ereignissen in der Phase der von der BVCh a) religiös begründeten und religionspolitischen Zwecken angepassten Einführung von renjian fojiao in den 1980er Jahren, b) der Veränderung seines Stellenwerts in den 1990er Jahren, c) seiner Renaissance zu Beginn des 21. Jh. und d) den um 2016 verschärften Diskussionen und ihren Nachwirkungen. Gegenüber den wesentlich besser dokumentierten Entwicklungen in den 1930er/1940er Jahren oder der Modernisierungsphase seit den 1980er Jahren auf Taiwan eröffnet dieses Vorhaben bezüglich der Wiederkehr von renjian fojiao in den öffentlichen Diskurs vor gut 40 Jahren eine neue, differenzierte Perspektive auf den von der BVCh dominierten Interpretationsspielraum in der VR China. Dessen Spektrum reicht von Anpassungen an die seit dem Ende der Kulturrevolution sich verändernde Religionspolitik, über Abgrenzungen bzw. Anpassungen an Modernisierungsvorbilder auf Taiwan und Debatten über Säkularisierungstendenzen, bis zur Rückkehr zu den Wurzeln des frühen Buddhismus im Namen des „Menschlichen Buddhismus“, aber auch zu vereinzelten Diskussionen über die völlige Aufgabe eines allzu schillernden Leitbilds. Ein zukünftiger Verzicht auf die Auseinandersetzung mit renjian fojiao ist angesichts seiner strategischen Bedeutung innerhalb der VR China nicht abzusehen.