Hintergrund und Ziele
Die zunehmende Vielfalt von Religionen und Kulturen in Europa bringt uns sowohl mit Zuwanderern aus traditionell buddhistischen Ländern in Kontakt als auch mit westlichen Konvertiten. Weltweit verzeichnen die Buddhistischen Studien unter den Religionswissenschaften den größten Zuwachs. Umso mehr überrascht, dass keines der Institute in Deutschland, die sich mit Weltreligionen befassen, einen Lehrstuhl für Buddhismus vorweisen kann – obwohl Deutschland in den vergangenen 200 Jahren in der Buddhismusforschung führend war. Und noch überraschender ist, dass – anders als bei islamischer, alevitischer oder jüdischer Theologie – bisher keine einzige europäische Universität einen Ausbildungsgang für buddhistische „Theologie“ anbietet.
In Europa sind es nicht nur Buddhisten, die sich mit der Lehre, der Philosophie und der buddhistischen Praxis beschäftigen, um ihr Leben zu bereichern: der buddhistische Einfluss auf die westliche Kultur ist spürbar in Literatur und Kunst, auf sozialem Gebiet, im Umweltbewusstsein, in Psychotherapie und Pädagogik, und er hat selbst Eingang in die Umgangssprache und in den Alltag vieler Menschen gefunden. Meditation und Achtsamkeitsübungen helfen ihnen, größere innere Ruhe und mentale Stabilität zu finden. In den Neurowissenschaften und der Psychologie, die Meditation und Achtsamkeit zunehmend im säkularen Bereich einsetzen, zeigen sich die bislang größten Überschneidungen mit buddhistisch inspirierten Ideen.
Im Westen wird der Buddhismus oft als eine Art Philosophie und Lebensstil betrachtet, in Wirklichkeit aber ist es ein unglaublich vielfältiges System von Vorstellungen und Praktiken. Konfrontiert mit globalen gesellschaftlichen Umbrüchen und den Erkenntnissen moderner Wissenschaften und Technologien steht er vor einer großen Herausforderung: einerseits trifft er auf großes Interesse, andererseits vollziehen sich in seinem Inneren gewaltige Umbrüche, denen man mit vereinfachenden Stereotypen und anachronistischen Begriffsbestimmungen nicht mehr gerecht werden kann.
In Europa stehen dem Buddhismus nicht nur eine ganz andersartige jüdisch-christlich orientierte Kultur gegenüber, sondern auch die Werte der europäischen Aufklärung und der Menschenrechte. Wenn der Buddhismus als Religion Eingang in die westliche Kultur finden soll, wird er sich notwendigerweise an dieses bereits vorhandene Wertesystem anpassen müssen – ein Prozess, der durch einen Dialog maßgeblich gefördert wird. Die Erfahrung hat gezeigt, dass interreligiöser Dialog oder ‚Dialogische Theologie’ nicht nur dazu beiträgt, ein tieferes Verständnis der eigenen Religion zu entwickeln, sondern es auch ermöglicht, auf Augenhöhe voneinander zu lernen.
Vor diesem Hintergrund laden die Akdademie der Weltreligionen und das Numata-Zentrum für Buddhismusforschung der Universität Hamburg 20 herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Vertreterinnen und Vertreter der drei Haupttraditionen des Buddhismus – Theravāda, Ostasiatischer Buddhismus (inkl. Zen) und Tibetischer Buddhismus – ein, um drei Tage lang folgende Fragen zu diskutieren: Ist der Buddhismus relevant für die Welt von heute? Sind seine Lehren und seine religiöse Praxis geeignet, unsere Welt zu bereichern? Und, im positiven Fall: Wie könnte dieser Beitrag aussehen? Wo und inwieweit muss und kann der Buddhismus in dem Prozess der Anpassung an eine westliche Kultur Abstriche machen und wo darf das, was als seine Kernlehre/-praxis gilt, auf keinen Fall angetastet werden?
Welche soziologischen und interkulturellen Gesichtspunkte müssen bei der Einführung des Buddhismus in einen neuen, nicht-asiatischen Zusammenhang berücksichtigt werden? Gibt es möglicherweise Elemente des Buddhismus, die bereits, vielleicht in versteckter Form, in unserem westlichen Erbe vorhanden sind? Und was im Buddhismus ist im Vergleich zu den westlichen Errungenschaften oder anderen Religionen wirklich neu oder völlig anders und bedarf deswegen unserer besonderen Aufmerksamkeit? Was haben Experten aus ihrer lebenslangen Begegnung mit dem Buddhismus für sich persönlich daraus mitgenommen – oder vielleicht vermisst?
Vor dem Planungshintergrund der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg, langfristig einen interdisziplinären Studiengang zu Buddhismus und Dialog anzubieten – ähnlich wie die bereits existierenden Studiengänge ‚Islamische Theologie’ und ‚Alevitische Theologie’ –, welches Lernziel sollten die Studierenden eines solchen Studiengangs erreichen und wie wäre dies methodisch anzugehen? Von besonderem Interesse ist dabei, inwieweit der Buddhismus für folgende Bereiche impulsgebend ist oder sein könnte:
- Gesellschaftlicher Zusammenhalt – Ethik und Meditation: Aggression und Angst, Gewalt und Frieden
- Soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliches Handeln
- Philosophie und angewandte Ethik
- Achtsamkeit, Psychotherapie/Pädagogik, Seelsorge, Medizinische Anwendung (säkularer Bereich)
- Interreligiöser Dialog, insbesondere mit dem Judentum, Christentum und Islam, aber auch mit dem Alevitentum und den vielfältigen Strömungen des Hinduismus
Um den wissenschaftlichen Erfolg der Konferenz zu gewährleisten, werden die Veranstaltungen der ersten zweieinhalb Tage vor allem den Vorträgen gewidmet, gefolgt von einem intensiven Austausch zwischen Referierenden, Lehrenden und Respondents. Am dritten Tag von 14.00-16.00 Uhr werden erste Ergebnisse zusammengefasst und mit dem interessierten Fachpublikum aus Wissenschaft und Praxis (darunter praktizierende Buddhisten und Buddhismus-Lehrende aus dem Westen) sowie mit den Studierenden diskutiert (Konferenzsprache Englisch; bei Bedarf Synchronübersetzung ins Deutsche).
Die Konferenz wird vollständig dokumentiert. Es ist beabsichtigt, die präsentierten Vorträge sowie eine Zusammenfassung der Diskussionsergebnisse in einer Anthologie zu veröffentlichen.